Geistlicher Impuls
Juli 2022
Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott.
(Psalm 42,3)
Reiner Kanzleiter, Pastor, Seelsorger
Krankenhaus und Seniorenzentrum Martha-Maria München
Psalmen sind keine Berichte. Sie sind Gebete in Liedform, deren Melodien leider nicht mit abgedruckt sind. Wie dieser kleine Gebetssatz wohl geklungen haben mag? In Dur oder doch eher in Moll? In welcher Melodie erklingt unsere Sehnsucht, unser Klagen, unser Schmerz über Verlorenes, über Unrecht und Leid, das uns angetan wurde?
Da betet, singt, klagt und wiegt sich im Kummer – ein erwachsener Mensch. Noch ist er nicht so abgeklärt, dass er alles intellektuell zu bewältigen versucht. Wie auch? Es geht schließlich um verlorene Heimat, um Entfremdung, um gestohlene Gemeinschaft mit anderen Gleichgesinnten, um Stärkung und Trost. Es geht um den Ort, der Heimat für die Seele und Leib ist. Es geht um die Nähe Gottes. Nur sie ist ein Zuhause.
In welchen Melodien erklingen unsere verschiedenen Lebensphasen, in denen wir unseren Sehnsüchten Raum geben?
Melodien der Trauer, wenn wir Verluste beklagen. Melodien voller Schmerz, wenn wir Perspektiven suchen. Sehnsüchtige Melodien, wenn wir aus dem Alltag ausbrechen möchten. Vielstimmige Melodien, die wir uns in einer Gemeinschaft beheimaten. Unverwechselbare Melodien meines Lebens…
Die jüdische Schriftstellerin Nelly Sachs schrieb: „Alles beginnt mit der Sehnsucht!“ Alles beginnt mit der Sehnsucht Gottes nach uns. Und mit ihr erwachen alle Melodien, die unser Leben prägen, bis unsere Seele bei eben diesem Gott zuhause ist.